Neues Propaganda-Album: Mehr Düsseldorfer Brillanz geht nicht (2024)

Neues Propaganda-Album Mehr Düsseldorfer Brillanz geht nicht

Düsseldorf · Propaganda hatte in den 1980er-Jahren Welthits wie „Dr. Mabuse“. Nun kehrt die Düsseldorfer Band mit einem neuen Album zurück. Die Texte der aktuellen Stücke singt ein Neuzugang.

10.10.2024 , 11:44 Uhr

Neues Propaganda-Album: Mehr Düsseldorfer Brillanz geht nicht (1)

Propaganda 2024 wollen nicht mehr der heiße Scheiß sein oder sich neu erfinden. Warum auch: Sie sind ja gut, wie sie sind. Seit über 40 Jahren. „Es wäre ja geradezu töricht, wenn wir noch auf den Dancefloor oder die Popcharts schielen würden,“ sagt Ralf Dörper (64), der Propaganda 1982 gegründet hat. „Ich hoffe, wir sind in Würde gealtert. Und daran wird sich vermutlich nichts mehr ändern,“ ergänzt Michael Mertens (70).

Die Arbeit am Comeback-Album scheint für die Beiden eine Art Selbsttherapie in dystopischen Zeiten zu sein. Sie erfreuen sich der Freiheiten ihres fortgeschrittenen Alters und der Relevanz, die ihr dramatischer Synth-Pop von einst auch heute noch besitzt. Was nicht nur beweist, dass ihr 38 Jahre alter Song „p:Machinery“ die aktuelle Renault-TV-Werbung untermalt und - zumindest in Frankreich - wieder die Charts erreichte.

Viele Electro-Popper der Achtziger erleben derzeit Renaissancen, Weltstars wie Billie Eilish, Harry Styles oder The Weeknd bedienen sich begeistert an dem Genre. Das Comeback von Propaganda kommt also zum Jubiläum genau richtig. „Das sieht vielleicht nach einer logistischen Meisterleistung aus, aber alles war reiner Zufall,“ behauptet Mertens.

Propaganda waren nach Kraftwerk die zweite Formation, die die Landeshauptstadt auf die musikalische Weltkarte brachte. Mitte der 1980er-Jahre landeten sie mit „Dr. Mabuse“ einen internationalen Hit. Mertens, seinerzeit noch Perkussionist bei den Düsseldorfer Symphonikern, schmiss seinen Job und stieß zur Band. Über Nacht wurden sie Vollzeit-Popstars; „Bravo“-Poster, RTL-Hit-Show, „Spiegel“-Interview, New York-Promo-Trips und eine Fahrt im mexikanischen Papamobil inklusive.

Leider folgten langwierige und zermürbende Vertragsfehden mit der Plattenfirma, unterschiedliche Allianzen, Auflösungen, und ähnlich Karrierelähmendes mehr. Sängerin Claudia Brücken ehelichte ihren Plattenboss, Kollegin Susanne Freitag hatte anderes zu tun. Trotzdem erschien 1990 noch ihr drittes Album („1234“). Dörper verließ die Band während der Aufnahmen. „Ich war gelangweilt von Pop. Ich lebte in London und war der Acid- und Detroiter Techno-Szene verfallen.“ Der Song „Wound In My Heart“ verschaffte Propaganda noch mal Nr. 1-Hits in Argentinien und Spanien. Aber die Luft war raus oder zumndiest arg vergiftet. Mertens gründete folglich eine Familie und verdingte sich als Komponist für Film und Werbung. Dörper wiederbelebte seine alte Band Die Krupps und ging nebenbei seinem Hauptberuf als Aktienanalyst nach.

Die Geschichte des neuen Propaganda-Albums beginnt 2015. „Wir trafen uns für einen Remix-Auftrags unseres Kumpels Holly Johnson (Frankie Goes To Hollywood) im leider nicht mehr existierenden Skyline Studio in Unterbilk. Dort sind wir auch der begabten Thunder Bae begegnet“, sagt Ralf Dörper. Man blieb in Kontakt. Tauschte sich aus. Überstand Corona und entschloss sich, der Legende Propaganda ein weiteres Kapitel hinzu zu fügen.

Propagandas Grundidee, Kraftwerk und Wagner zu fusionieren, wurde mittlerweile enorm erweitert: Mertens schichtet gut abgehangene Sounds aus Klassik und Krautrock, Ambient und New Wave übereinander, mischt Orchester-Instrumente mit aufgepumpten Beats und flottiert zwischen Minimalismus und maximaler Opulenz. Es tönt düster und erhaben. Die unterschiedlichen Elemente verschmelzen zu einer klaren, fließenden Soundstruktur, deren Melodien schnell in den Gehörgängen kleben bleiben.

Sein Partner ist weniger verschmust. Eher ein klinisch kalter Diagnostiker privater und politischer Prozesse. Dörpers Großstadtpoesie kündet von Gesellschaftskritik („Tipping Point“), Nabelschau („Distant“) oder Sex und Sünde („Purveyor Of Pleasure“). Das obligatorische Gitarrensolo stammt nicht von David Gilmour, sondern vom wohl besten heimischen Saitenvirtuosen Marcus Wienstroer. Wie überhaupt alles an dieser Platte „Made in Düsseldorf“ ist: Artwork, Videos, Fotos (im Nordpark), Mastering (Kai Blankenberg) etc.

Gastsängerin Thunder Bae verpasst den betagten Herren eine gehörige Frischzellenkur. Sie ist mit einer so wandelbaren wie ausdrucksvollen Stimme gesegnet. Die 24-Jährige kann Pop und Pathos, erinnert mal an Dua Lipa, mal an Roisin Murphy und besitzt die Chuzpe, sich an dem 1930-er-Klassiker „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ (1960 von Marlene Dietrich beflügelt) zu vergehen. Dazu klimpert Oscar-Preisträger Volker Bertelmann gespenstisch auf seinem präparierten Hauschka-Piano.

Mehr Düsseldorfer Brillanz geht nicht.

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